„Behinderte Menschen müssen selbstbestimmt entscheiden können, wie, wo und mit wem sie wohnen!“
Monitoringausschüsse rücken „De-Institutionalisierung“ in den Fokus
Bregenz/Feldkirch, 11. Oktober 2024 – Noch immer herrscht die Meinung vor, Menschen mit Behinderungen seien in sogenannten Heimen gut aufgehoben. Das entspricht aber nicht der UN-Behindertenrechtskonvention, die Österreich 2008 ratifizierte. Daher machten die Monitoringausschüsse für Vorarlberg und Österreich gestern die „De-Institutionalisierung“ zum Thema und ließen Expert*innen und Betroffene zu Wort kommen.
„Menschen mit Behinderung sollen selbstbestimmt entscheiden können, wie, wo und mit wem sie wohnen möchten, genau wie alle anderen Menschen auch“, stellte Landesvolksanwalt Klaus Feurstein unmissverständlich klar. Er ist Vorsitzender des Vorarlberger Monitoring-Ausschusses (VMA), der die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Land überwacht.
Das Pendant zum VMA auf Bundesebene ist der Unabhängige Monitoringausschuss: „Österreich ist immer noch das Land der Heime. Es fehlt ein Plan zum österreichweiten Ausbau von gemeindenahen Unterstützungsdiensten und zum Abbau von Heimen“, betonte Tobias Buchner vom Vorsitzteam. Aber erst diese „De-Institutionalisierung“ würde Menschen mit Behinderung eine echte Wahlfreiheit ermöglichen.
Daher stand das Thema auch im Mittelpunkt der ersten gemeinsamen öffentlichen Sitzung des VMA und des Unabhängigen Monitoringausschusses gestern Nachmittag im AK Saal in Feldkirch. „Mein Weg, Mein Leben, Mein Menschenrecht!“, lautete der Titel. Mit Gebärdensprach- und Schriftdolmetschung, Zusammenfassungen in Leichter Sprache, unterstützenden Schüler*innen der Kathi Lampert Schule und einem Live-Stream war die Veranstaltung barrierefrei und für alle zugänglich.
Worum es bei der De-Insititutionalisierung geht, erläuterte Professor Dr. Markus Schefer, Mitglied des UN-Fachausschusses, in seinem Vortrag: „Menschen haben nach der UN-Behindertenrechtskonvention das Recht auf Selbstbestimmung. Da gibt es keine Verhältnismäßigkeit!“ Schefer war auch zuständig für die Staatenprüfung Österreichs 2023 und kennt die Situation gut: „Es gibt keine Strategie, zu wenig geeignete Wohnungen, zu wenig Unterstützungsleistungen und kein Individualrecht“, so sein Resümee.
Es geht auch anders
Danach schilderten Paul Stark – landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter mit hohem Unterstützungsbedarf –, seine Mutter Claudia Stark und ihre langjährige unterstützende Begleiterin, Petra Flieger, gemeinsam, wie es alternativ funktionieren kann. Sie berichteten über „ein cooles Leben ohne Institutionen – inklusiv wohnen und arbeiten“. Im November wird Paul (28) von der Landwirtschaftskammer für 10 Jahre Berufstätigkeit ausgezeichnet. Ein Erfolg, der sehr viel Einsatz kostete: „Nichts von Pauls inklusivem Weg ist selbstverständlich“, brachte es seine Mutter auf den Punkt. Der Kampf um Finanzierung, Assistenz und den Arbeitsplatz muss permanent geführt werden und lastet auf den Schultern der Betroffenen.
Wie üblich bei den öffentlichen Sitzungen des VMA waren danach die Teilnehmer*innen am Zug. An „Austausch-Tischen“ und online wurden Themen wie „Inklusionswege und ‑sackgassen“ oder „Gedanken und Gefühle zum Leben ohne Institutionen“ angeregt diskutiert. Zum Abschluss diskutierten Christine Steger und Bernadette Feuerstein (UMA) sowie Brigitta Keckeis, René Kremser, Patrick Wintschnig (VMA) mit Markus Schefer am Podium. Und er griff zu einem drastischen Vergleich: „Wir sind uns einig, dass die Politik der Apartheid eine Ungerechtigkeit war. Bei Leuten mit Behinderung ist diese Einsicht noch nicht da.“
Eine 7‑seitige Diskussionsgrundlage zum Thema ist online verfügbar.
Der Stream von der Veranstaltung kann auf YouTube nachgesehen/-hört werden.
Fotos: Angela Lamprecht